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Psychisch-emotionale Reaktionen auf die Hypersensitivität (MCS) lassen sich in direkte und sekundäre Reaktionen unterteilen. Direkte Reaktionen sind solche, die Betroffene als direkte Auswirkung einer chemischen Exposition erleben, z. B. ein Weinkrampf. Sekundär-Reaktionen entstehen dadurch, dass man sowohl mit den direkten Reaktionen als auch mit der langfristigen Realität eines Lebens mit MCS umgehen muss. Es ist wichtig, beide Arten zu verstehen. Und sich mit den Aspekten des Persönlichkeitsstils auseinanderzusetzen, die einen den Umgang mit Situationen erschweren. Z.B. die Erfordernis Themen aktiv anzusprechen.

Quelle: Prof. Dr. Gibson, Buch „MCS-Überlebensleitfaden“ (Kap. 9) gem. Verlinkung zur kostenlosen Downloadversion

Einleitung

Einer der führenden MCS-Experten in Deutschland, Dr. Kurt E. Müller, stellt in einem Interview mit QS24 vom 07.09.2022 nochmals klar „MCS ist nicht psychisch bedingt!“ [1] Den entsprechenden Video-Beitrag (29 Min.) mit dem Titel „MCS-Umwelterkrankung: Wenn man entzündlich auf Chemie reagiert“ finden Sie hier (verlinkt) auf unserer Medienseite .

Auch im Berichtsband 1 (S. 26) zur Multizentrischne RKI-Studie (Nov. 2002) wird z. B. festgehalten [2]:

„Hingegen haben die [MCS]-Studienpatienten im Vergleich zu allgemeinpsychiatrischen Patienten und Patientengruppen mit Persönlichkeitsstörungen, Neurosen, Depressionen, Angststörungen und Somatisierungsstörungen – außer teilweise im Bereich Somatisierung – niedrigere Skalenwerte, so dass sich das Profil der Umweltambulanz-patienten [..] merklich gegenüber den Profilen psychosomatischer / psychiatrischer Patienten unterscheidet.“

2004 verwies der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) in seinem Umweltgutachten [3]  u. a. auf Erkenntnisse einer MCS-Studie von Caress et al. (2002), wonach

  • nur 1,4 % der Patienten bereits im Vorfeld emotionale Probleme hatten, dagegen
  • 37,3 % der Betroffenen psychische Symptome nach Auftreten der Hypersensitivität entwickelten.

Zum einen können Expositionen und deren Wirkung auf das zentrale Nervensystem bei MCS-Patienten Depressionen verursachen.[4][5] Zum anderen können aber auch die schwierigen Begleit- und Lebensumstände Spuren hinterlassen.[5] Denn ein normales Leben ist mit MCS i. d. R. nicht mehr möglich. Dazu sind die krankheitsbedingten Auswirkungen und Probleme zu gravierend.

Warum MCS psychisch so belastend ist

Titelbild der YouTube-Präsentation
Foto: sabphoto ©123RF.com

WEITERSAGEN – TEILEN – NUTZEN

Unsere Präsentation „Warum MCS psychisch so belastend ist“ wurde auf dem YouTube-Kanal Umweltsensibilität veröffentlicht. Wir möchten damit auf die wenig bekannte und schwere Erkrankung MCS hinweisen, um eine bessere Verständnisebene für MCS-Betroffene zu vermitteln und so den Weg zu bereiten für mehr Akzeptanz sowie Unterstützung. Denn Wissen schafft Verständnis. So unsere Hoffnung.

Die Präsentation darf auch gerne durch Dritte verwendet werden. So plante z.B. Dr. Ohnsorge die Integration in die scopro-Fortbildungsmodule zur Klinischen Umweltmedizin.

Die Präsentationsinhalte stützen sich nicht ausschließlich auf persönliche Erfahrungswerte, sondern beziehen auch Studienverweise und Expertenaussagen mit ein. Wir bedanken uns bei den Experten, die uns bei diesem Projekt mit ihrem Feedback, Anregungen und mit der Unterzeichnung eines aktuellen Experten-Statements unterstützt haben!

Wir hoffen, wir haben Ihr Interesse geweckt. Dann führen wir Sie mit diesem Button bequem zur Ansicht der Präsentation auf YouTube:

Und weil sich die Folien zum Ausdruck nicht eignen, haben wir für Sie ergänzend ein kompaktes und druck-optimiertes Handout (20 S.) zur obigen Präsentation erstellt. Mit nebenstehendem Button gelangen Sie zum kostenlosen Download:

Ein 4-seitiger Artikel dazu ist auch in der UMG-Ausgabe vom August 2022 erschienen. Dieser Artikel steht Ihnen hier (verlinkt) zum kostenlosen Download zur Verfügung.

Zur Präsentation: Auszüge aus einigen Feedback-Meldungen seitens anderer SELBSTHILFEGRUPPEN

„An alle, die an dieser gelungenen, einfühlsamen Präsentation mitgewirkt haben: Danke, danke , danke!! Das ist eine vollkommene, wahre und perfekte Darstellung unserer Situation! Da kann einem schon eine Träne ins Auge geraten, teils aus Selbstmitleid – das darf wohl auch sein, kommen doch all die erlittenen Verletzungen und Diskriminierungen beim Zuhören hoch – teils aus Bewunderung und Freude darüber, wie Ihr uns aus dem Herzen sprecht. Unser Dank sollte sein, diesen Film vielen Menschen weiterzugeben.“

“ WOW!! Toll, sehr ausführlich und verständnisvoll. Unterteilung in mehrere, kürzere Kapitel wäre für viele Betroffene von Vorteil. Ansonsten wirklich super gemacht. Alles ist stimmig und die Themen super ausgearbeitet.“

„Sehr beeindruckend. Gut verwendbar. Vielen Dank!“

Zur Präsentation: Auszüge aus einigen Feedback-Meldungen seitens einzelner BETROFFENER

„Hab es am Stück angeschaut, denn ich konnte gar nicht aufhören. Spannend, interessant, fachlich kompetent. Eine tolle Präsentation.“

„Wer aus gesundheitlichen Gründen nur kürzere Abschnitte anschaun kann: teilt es Euch einfach auf. Es lohnt sich.“

„Als Betroffene habe ich es mit Interesse verfolgt. Großes Lob für diesen Arbeitsaufwand und die Initiative!“

„Tolles Video. Sachlich, kompetent, unaufgeregt! Freue mich auf weitere Videos!“

Zur Präsentation: Auszüge aus einigen Feedback-Meldungen seitens NICHT-BETROFFENER

„Mit Interesse habe ich die Präsentation und Homepage angeschaut. Als Nichtbetroffene fällt es schwer die Problematik voll zu erfassen. Deshalb finde ich es sehr gut, dass Ihr damit in dieser Form an die Öffentlichkeit geht. Es ist wirklich sehr gut gelungen!“

„Sehr gut gemachtes Video und professionell besprochen. Auch exzellente Homepage. Tolle Sache!“

„Ich finde das Video genial. Denn es ist eine wirklich gute Aufklärung ohne anzuklagen und dient der dringend erforderlichen Öffentlichkeitsarbeit.“

Hilfreiche Dokumente (auch für Therapeuten)

Ausführliche Informationen für die Zielgruppe der Psychotherapeuten hat Pamela Reed Gibson, eine US-Professorin für Psychologie, zusammengestellt. Sie untersucht seit 1992 die Auswirkungen von Umweltsensitivitäten auf das Leben, ist Autorin zahlreicher Artikel und kann mittlerweile auf eine Datenbank-Sammlung von mehr als 1400 MCS-Patienten zurückgreifen. Also: kombinierte Fach-Kompetenz aus den Bereichen Psychologie und MCS!

Mit freundlicher Genehmigung von Prof. Gibson können Sie hier eine deutsche Version ihrer Präsentation abrufen: „Beratung von KLIENTEN MIT UMWELTSENSITIVITÄTEN – Eine Information für Psychotherapeuten“.

Prof. Gibson empfiehlt ergänzend auch Kap.9 ihres Buches „MCS-Überlebensleitfaden“ zu lesen. Auch dieses steht als (unverbindliche) Übersetzung zum kostenlosen Download zur Verfügung.

Die Info-Broschüre für Psychotherapeuten ist erfahrungsgem. eine willkommene „Übersichtsliteratur“ mit folgenden Inhalten:

  • Was sind Umwelt-Sensitivitäten?
  • Wie verbreitet sind Umwelt-Sensitivitäten?
  • Warum sollte jemand mit Umwelt-Sensitivitäten zu einem Therapeuten gehen?
  • Was könnten Klienten mit einer Umwelt-Sensitivität durchmachen, bevor sie einen Therapeuten aufsuchen?
  • Was brauchen Menschen mit MCS oder EHS (Elektrohypersensitivität) von einem Therapeuten?
  • Vita von Prof. Gibson
  • Ergänzende Hinweise des Übersetzers, z. B. zur Situation deutscher MCS-Patienten und weiteren deutschen Info-Quellen

Umweltfaktoren und biochemische Prozesse als Ursachen von Depressionen

„Die offizielle Schulmedizin ist bislang nicht in der Lage, die durch Chemikalien ausgelösten Krankheiten adäquat zu diagnostizieren und zu behandeln. Der Ausweg in eine rein psychische Diagnose und Therapie ist ein Irrweg, der in der Regel zu keiner Besserung der Krankheitssymptome führt. Die Anwendung von Psychopharmaka muss vor dem geschilderten Hintergrund als Fehltherapie bezeichnet werden. […] Zusammenfassend ist festzustellen: Es zeichnet sich ab, dass die schweren Krankheiten, die durch Chemikalien ausgelöst werden, zu einer vielfachen Erhöhung der Suizidrate bei betroffenen Patienten führen.“

So Dr. Hans-Ulrich Hill in seinem Artikel „Soziale Auswirkungen von chemikalieninduzierten Krankheiten“ *) veröffentlicht in umwelt-medizin-gesellschaft 21(4)

 

Dr. Kurt E. Müller geht in seinem Artikel „Depression bei umwelt-medizinischen Erkrankungen“ **) ausführlich auf relevante Aspekte der Neuro-Endokrino-Immunologie ein und führt u. a. aus:

  • Bei 80 % der untersuchten umweltbelasteten Patienten wurde eine Schädigung der Dopamin D2-Rezeptoren nachgewiesen.
  • Nachweislich besteht bei Patienten mit zellulärer Sensibilisierung gegenüber Dentalmetallen eine erhöhte Bereitschaft der Bildung von Autoantikörpern auch gegenüber Serotonin.
  • Als Folge der entzündlichen Erkrankung entwickelt sich eine der Inflammation assoziierte depressive Symptomatik. Die übliche Verordnung von SSRI ist in einer solchen Situation ohne wesentlichen therapeutischen Effekt und erhöht i.d.R. unnötig das Maß der Komplikationen.
  •  Zahlreiche Umweltschadstoffe können die Atmungskette unmittelbar funktionell und/oder strukturell beeinträchtigen. Der durch einen geringen Adenosintriphosphat (ATP)-Vorrat bedingte Leistungsverlust (wie schnelle Ermüdbarkeit und langsame Erholungsfähigkeit) werden i.d.R. als Depression diagnostiziert.
  • In dem Artikel werden Mechanismen abgebildet, die Symptome verursachen, die häufig Grundlage der Diagnose Depression sind. Doch wesentliche Auslöser können u. a. Infekte sein, zahlreiche Medikamente oder aber Expositionen gegenüber vielen Umweltchemikalien.

Das Modell nach Pall für NO/ONOO–oxidativ-entzündliche Krankheiten (ausgesprochen „No, oh no!”) steht in Verbindung mit vielen Erkrankungen.  Es entwickelt sich ein biochemischer Teufelskreis, der sich selbst verstärkt und auch zur Produktion inflammatorischer Zytokine führt. Für diese wiederum ist belegt, dass sie auch Depressionen auslösen können

Auf der (hier verlinkten) Seite finden Sie mehr zu diesem biochemischen Prozess, an dem 35 Einzelmechanismen  beteiligt sind. Bei den meisten handelt es sich um umfassend belegte, bekannte bio-chemische und physiologische Abläufe. ***)

Quellen:
*) Dr. Hans-Ulrich Hill, Magazin umwelt-medizin-gesellschaft 21(4) gem. obiger Verlinkung
**) Dr. Kurt E. Müller, Magazin umwelt-medizin-gesellschaft 4/2010 gem. obiger Verlinkung
***) Pall, Martin „Multiple Chemikaliensensitivität: Toxikologie- und Sensitivitätsmechanismen (2009)“

MCS - Überlebensleitfaden (Buch von Prof. Dr. Gibson)

Das Buch (die einzelnen Kapitel) stehen Ihnen in einer unverbindlichen Übersetzungsversion zum kostenlosen Download zur Verfügung!

„Für Menschen mit MCS ist dieses Buch ein Überlebensratgeber, voller praktischer Ratschläge und Inspirationen. Für andere bietet es ein besseres Verständnis für MCS, indem es gekonnt die Wissenschaft mit der menschlichen Seite dieser komplexen und oft verwirrenden Krankheit verbindet.“
Ann McCampbell, M.D.

„Professor Gibson hat ein Buch von solider Wissenschaftlichkeit und mitfühlendem Verständnis über eine Krankheit geschrieben, die beides dringend braucht. Es ist ein sehr lesenswertes Werk, das denjenigen, die von diesem schwierigen und häufig missverstandenen modernen Gesundheitsproblem betroffen sind, Inspiration und eine Fülle von sachkundigen Ratschlägen bietet. Es ist eine bemerkenswerte Sache: Ein Buch über MCS von einer Psychologin, die weiß, dass die Krankheit nicht psychologisch ist.“ Lynn Lawson, M. A., Autor von `Staying Well in a Toxic World´“

Quelle: Buch-Cover „Multiple Chemical Sensitiviy – A Survival Guide“, Earthrive Books, Ausgabe 2006, kostenlose Downloadvision

MCS hat gravierende Auswirkungen in allen Lebensbereichen. Basierend auf ihren jahrzehntelangen Studien- und Berufserfahrungen widmet sich die Autorin in ihrem Buch diesen unterschiedlichen Aspekten., wie z.B. den Auswirkungen auf das Leben und die Psyche, Optionen der Lebensumgestaltung und Bewältigung. Auch wenn sich der Forschungsstand weiter entwickelt hat – viele weitere und grundsätzliche Buch-Inhalte sind noch relevant und insbesondere für „Newcomer“ eine willkommene Hilfestellung.

Übrigens: In Kapitel 13 dreht sich alles um Arbeitsplatz, Schwerbehinderung und Rentenverfahren. Hier wird deutlich, dass diese Aspekte auch in den USA sehr problembehaftet sind. Zu diesen Themen gibt es auch hierzulande häufig Nachfragen und Bedarf an Hilfestellungen. Daher wurden hier ergänzend ausführlichere Informationen, Übersichten, Erfahrungswerte, beispielhafte Urteile, evtl. hilfreiche Unterlagen und weiterführende Verlinkungen für die deutschen MCS-Betroffenen eingearbeitet!

Der psychosoziale Problemkreis

Erläuterungen hierzu finden Sie in der oben verlinkten YouTube-Präsentation „Warum MCS psychisch so belastend ist“.

Grafik zum Psychosozialen Problemkreis von Menschen mit Multipler Chemikalien Sensitivität (MCS)

Stigmatisierung und Krankheitsscham

„Wenn Ärzte keine Erklärung für das Problem hatten, argumentierten sie z. T. auch sehr salopp mit der Diagnose „psychosomatisch” oder „psychische Störung” [..]. Das heißt, dass zur unerfreulichen Krankheit die unerfreuliche Erfahrung hinzutritt, dass die Ärzte zum Teil selbst nicht Bescheid wissen, oft mit Diskriminierung reagieren oder mit Weiterverweisen der Betroffenen.“ [1] (Prof. Dr. Werner Maschewsky)

MCS-Kranke werden vielfach belächelt und ihre Beschwerden nicht ernst genommen. Die ständige Erklärungsnot ist ermüdend. Und weil sie nicht als psychisch krank eingestuft werden möchten, ignorieren sie häufig die Symptome und bemühen sich, weiterhin im Rahmen der üblichen Parameter „zu funktionieren“. Aber: das funktioniert leider nicht – ohne die eigene Gesundheit zu schädigen.

Die Angst, stigmatisiert, ausgegrenzt und als Last angesehen zu werden oder in existentielle Probleme zu geraten, kann schwer erkrankte Menschen zusätzlich enorm belasten. Dann wird nicht selten Krankheitsscham zum verborgenen Begleiter. Diese kann sich insbesondere bei unklaren, nicht vorhandenen oder nicht akzeptierten Diagnosen (alles zutreffend bei MCS!) entwickeln. Diese Emotion tritt auf, wenn eine Person ihr Ansehen durch eine Erkrankung infrage gestellt sieht. Aus Angst davor belächelt, herabgesetzt oder ausgegrenzt zu werden schweigen dann viele. Ein Erdnussallergiker muss sich nicht davor fürchten, auf seine Gesundheitsgefährdung hinzuweisen. Für MCS-Betroffene ist es nicht weniger wichtig, das Thema und schützende Maßnahmen aktiv anzusprechen. Die Hemm-schwelle ist aber leider deutlich größer, muss aber im Zuge der Gesundheitsfürsorge überwunden werden. [2][3][4][5]

Selbstvorwürfe
MCS-Betroffene fragen sich vielleicht, wie sie krank wurden und ob sie etwas hätten tun können, um dies zu vermeiden. Auch diejenigen, deren Zustand sich weiter verschlechtert, können sich mit Fragen quälen wie „Warum habe ich mir nicht früher einen Wasserreiniger besorgt“ oder „Warum habe ich weiterhin in diesem Haus mit Ölheizung gelebt?“. Die medizinischen Paradigmen, die Krankheit auf Emotionen schieben oder behaupten, dass „jeder bekommt, was er verdient“ oder dass wir „unsere eigenen Welten erschaffen“, schüren dieses Feuer weiterhin auf unangemessene Weise.[2]

Psychiatrische Ettiketierung und Selbstzweifel
Mehr als die Hälfte einer Gibson-Studiengruppe machte die Erfahrung [fälschlicherweise] einfach als psychisch krank eingestuft zu werden. Darunter waren Diagnosestellungen zu finden wie  Depressionen, psychosomatische Erkrankungen, Schizophrenie, Panikstörung, Neurosen, posttraumatische Belastungs-störung, Manie, wahnhafte Störungen, Hypochonder, Geruchswahn und „das ist alles in Ihrem Kopf“. Wenn solche Attestierungen durch Gutachter oder Umwelt-ambulanzen erfolgen, kann dies womöglich Selbstzweifel auslösen und die Akzeptanz auch bei weiteren Stellen (Attesteinreichung) und im Umfeld untergraben. Wenn Beschwerdeschilderungen dazu führen, dass eine psychiatrische Ettiketierung erfolgt und eine Einweisung empfohlen wird, dann hinterläßt dies Spuren.[2]

Fehleinschätzung: Zwangsneurotisches Verhalten
Das Vermeiden von umweltbedingten Auslösern kann zu Verhaltensweisen führen, die lt. Gibson zwangsneurotischen Charakteristika ähneln. Seltsam erscheint dies insbesondere für Menschen, die nicht verstehen, wie wichtig die Vermeidung für diejenigen ist, die mit gefährlichen Expositionen umgehen müssen. Z.B. mag es befremdlich wirken,

  • auf jemanden zu achten, der sich eine Zigarette anzündet,
  • Post auszulüften, um das Risiko einer Duftexposition zu verringern, und
  • neue Kleidung vor dem Tragen viele Male in Essig und Backpulver zu waschen.

Wenn der Charakter MCS-Kranker aufgrund dieser Verhaltensweisen beurteilt wird, kann man fälschlicherweise eine Zwangsstörung unterstellen.[2]

MCS-Betroffene wissen, dass NICHT die Psyche Ursache ihres Leidens ist [3][6]. Daher richten sie i.d.R. an eine etwaige Psychotherapie nicht den Anspruch einer MCS-Heilung. Die ausbleibenden MCS-Besserungen nach psycho-therapeutischen Behandlungen bestätigte auch das Robert Koch-Institut in seiner Bekanntmachung vom Febr. 2020 und dokumentierte außerdem: Bei Umwelt-kranken erfolgt oft eine zu schnelle Einordnung der Beschwerden als „psychisch bedingt“. Daraus resultierende verschleppte umwelt-medizinische Abklärungen führten zu Chronifizierungen und  sekundär psychischen Belastungen.[7] Viele Psychologen sind mit dem Thema Umwelt-erkrankungen bzw. MCS leider nicht ausreichend vertraut.[2]

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„Lassen Sie uns über Ihre Entgiftungsstörung sprechen“?

Medizinische Fachkräfte ermutigten z.T. MCS-Kranke sich Chemikalien auszusetzen, um sich selbst von dem Glauben, dass Chemikalien sie krank machten, zu „deprogrammieren“. Man könnte durchaus argumentieren, dass dies ein Behandlungs-fehler wäre. Zu den iatrogenen Schäden durch schlecht ausgebildete Ärzte zählen Schäden durch Medikamente, Diagnose-Verzögerungen, Fehl-behandlungen, invasive Tests, unnötige Operationen und sogar Elektroschocks.“ (Gibson et al.,1996) [3]

Warum eine psychotherapeutische Begleitung hilfreich sein kann? [3] Z. B.:

  • Ein bisschen Rückenstärkung tut gut, wenn das ganze Lebensmodell zusammenbricht. Die Verlustbewältigung in unterschiedlichen Bereichen ist ein großes Themenfeld.[2]
  • Wie mit der Stigmatisierung umgehen? Wie mit dem psychosozialen Problemkreis umgehen?
    Überhaupt: Der Umgang mit MCS ist belastend – und für unterschiedliche Persönlichkeits-strukturen stellen Aspekte erforderlicher Bewältigungsstrategien unterschiedlich große Herausforderungen dar. Ein individuelles Coaching von Coping-Strategien erleichtert u. U. den MCS-Alltag (der schon schwer genug ist).[2]
  • Ein weiterer Effekt: mit einer Psychotherapie wird auch die Bereitschaft der MCS-Patienten unterlegt, ALLES Erdenkliche zur Genesung zu unternehmen. (Aspekt z.B. Renten-Antragsverfahren)

„Der Person mit Sensitivitäten muss geholfen werden, positive Eigenschaften zu behalten, die sie vor deren Entwicklung hatte, und neue zu entwickeln hinsichtlich einer erfolgreichen Bewältigung ihrer Gesundheitslage“ Vgl. Goodheart und Lansing [2]

Patienten mit MCS: Umweltmedizin oder Psychosomatik?

„Meist wurde in entsprechenden Studien ein psychodiagnostisches Instrumentarium zur Diagnosefindung eingesetzt, welches primär für die Fragestellung `Differenzierung zwischen umweltmedizinischen Erkrankungen und psychiatrischen/ psychosomatischen Erkrankungen´ gar nicht geeignet ist bzw. in dieser Hinsicht nicht validiert ist.“ [1]

Zur Validität von Fragebögen der psychologisch-psychiatrischen Diagnostik bei Personen, die gegenüber neurotoxischen Schadstoffen exponiert sind oder waren [2]

Die Symptomnennungen eines psycho-pathologischen diagnostischen Fragebogens (SCL-90-R) wurden mit dem Auftreten derselben Items in fünf Fragebögen zur Erfassung von neurotoxischen Effekten verglichen (=FBneurotox).  Die Ergebnisse dieses Item-Vergleichs stellen die Verwendung von psychometrischen Fragebogen bei schadstoffbelasteten Kollektiven als diagnostische Instrumente deutlich in Frage. Mögliche Fehldiagnosen scheinen insbesondere Somatisierungs-störungen, Zwangsstörungen, Depressionen und Angststörungen zu betreffen. [2]

Ergebnisse einer Datenerhebung beim Vergleich von MCS-Kranken, Patienten mit psychosomatischen Erkrankungen und Gesunden: [3]

  • Unter den MCS-Patienten waren mehr Frauen, mehr Allergiker und weniger Raucher.
  • Der Unterschied zwischen der gesunden Vergleichsgruppe und den MCS-Patienten war in allen gesundheitsrelevanten Variablen signifikant.
  • Im Vergleich mit der psychosomatischen Vergleichsgruppe litten die MCS-Patienten signifikant häufiger/schwerer unter Schleimhaut-reizungen und Infektanfälligkeit sowie unter Symptomen im Bereich des zentralen und peripheren Nervensystems.
  • Bei der psychosomatischen Patientengruppe waren Depressivität und Ängstlichkeit deutlicher ausgeprägt als bei den MCS-Kranken.
  • Die Symptome treten zu Beginn der MCS-Erkrankung i.d.R. nur in Abhängigkeit von bestimmten Orten auf (z. B. nach Renovierungen, Möbelkauf). Neben Schleimhautreizungen treten meist neuropsycho-logische Symptome wie z. B. Kopfschmerzen und Konzentrations-störungen auf und zwar expositionsabhängig. 

Fazit:  MCS-Patienten waren im Vergleich mit der gesunden Kontroll-gruppe gesundheitlich stark beeinträchtigt und sie  unterschieden sich hinsichtlich ihrer Symptomatik signifikant von einer psycho-somatischen Vergleichsgruppe. Neuropsychologische Symptome sind für sich betrachtet kein aussage-kräftiges Unterscheidungskriterium (-> mögliche Fehldiagnosen). Die Einordnung von MCS – Patienten in psycho-somatische Kategorien ist erfahrungsgemäß und bezogen auf die internationale Studienlage (Literatur) nicht richtig.

Die unerkannte Diagnose, aber echte Krankheit –  so ein Artikel in „European Psychiatry“ (2022) mit nachfolgenden Inhalten:[4]

Der Artikel berichtet von einer Studie, die mittels halbstrukturierter Interviews umgesetzt wurde und deren Hauptziele darin bestanden:

  • (1) die mit MCS verbundenen Symptome zu beschreiben,
  • (2) festzustellen, ob die Umweltexposition einen Einfluss auf das psychische Wohlbefinden von MCS-Patienten hat.

MCS ist eine chronische Erkrankung, die durch gesundheitliche Beeinträchtigungen aufgrund der Exposition gegenüber gängigen Chemikalien gekennzeichnet ist und zu Behinderungen führen kann. Das weit verbreitete Stigma, das mit MCS und ähnlichen Erkrankungen verbunden ist, einschließlich des Stigmas, das bei Leistungserbringern besteht, schafft unerträgliche Hindernisse für den Zugang zur Gesundheitsversorgung.

Die von den MCS-Studienteilnehmern erlebten Symptome sind vielfältig, wobei zu den häufigsten Symptomen u.a. zählen:

  • Migräne
  • anfallsartige Anfälle
  • allergische Reaktionen
  • Atemprobleme
  • Muskelschmerzen
  • chronische Erschöpfung

Diese Symptome entwickeln sich immer als Reaktion auf eine geringe Exposition gegenüber verschiedenen Schadstoffen, treten reproduzierbar auf und verbessern sich, wenn die Schadstoffe entfernt werden. Schließlich leiden Erwachsene mit MCS häufiger unter erheblichen affektiven und ähnlichen Reaktionen wie bei einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Die Studienteilnehmer gaben an, dass die Stigmatisierung und die falschen Vorstellungen gegenüber Menschen mit toxischen Sensibilitäten ihr psychisches Wohlbefinden beeinträchtigen.

Schlussfolgerungen der Studiengruppe:

„Mehrere klinisch bedeutsame Verhaltens- und psychologische Symptome werden mit MCS in Verbindung gebracht. Unsere Daten deuten darauf hin, dass die Überlagerung von Diagnosen im Gesundheitssystem allgegenwärtig ist. Diese Studie unterstreicht auch die Bedeutung psychologischer Interventionen und der Arzt-Patienten-Beziehung bei der Behandlung von MCS in verschiedenen Bereichen. Die Aufklärung der Öffentlichkeit zur Verbesserung des Wissens über umweltbedingte Krankheiten ist von größter Bedeutung.“

Das Compliance Paradoxon [5]

Compliance wird als Einwilligung und Bereitschaft eines Patienten zur Zusammenarbeit mit dem Arzt bzw. zur Mitarbeit bei diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen aber auch als Zuverlässigkeit beim Befolgen therapeutischer Anweisungen definiert. Im gesamten Gesundheits-wesen, v.a. aber in der Psychiatrie und in der Umweltmedizin käme der Compliance mit Wertschätzung der Patientenmeinung, des Patienten-gefühls, seiner sozialen Umgebung eine zentrale Bedeutung zu. Behandlung gegen den Patienten und seine Überzeugungen ist schon aus neuro-bio-psycho-sozialer Sicht sinnlos. In der Umweltmedizin verkehrt sich das Problem sogar ins Gegenteil: der Patient ist über sich und die möglichen Schädigungen besser informiert als der Arzt!

Die Theorie, MCS sei eine umweltbezogene Somatisierungsstörung, kann nicht aufrecht erhalten werden. Denn diverse Autoren beschreiben MCS – Kollektive, welche keine psychiatrischen Erkrankungen aufweisen. Eine Möglichkeit zur Abgrenzung von psychosomatischen Störungen bieten auch, von MCS-Patienten regelm. berichtete, Intoleranzen von Alkohol, Tabak, Medikamenten und Nahrungsmittel (im Gegensatz zu eigentlichen Psychosomatikern).

In der Einschätzung der Umweltkrankheiten stehen sich zwei unversöhnliche, ideologisch fixierte Lager gegenüber: [5]

Einerseits die angeblich objektive Wissenschaft, die nachweist, dass umwelttoxische Störungen in den niederen Konzentrationen keine wirklichen physiologischen Antworten auslösen können.

Diese ärztlich geprägte Meinung kommt von der Arbeitsmedizin und ihren Konzentrationen, bei Umwelt-einwirkungen werden die Probleme der Patienten bagatellisiert. Oft werden dann psychiatrische oder psycho-somatische oder psychotherapeutische Diagnosen gewählt, leiten dann aber von dem eigentlichen Umweltproblem des Patienten ab. Es geht dann in Psychiatrisierung und angeblich objektive messende Medizin über Fragebogen. [5]

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Andererseits Fallstudien mit Evidenzgrad 4, also durchaus evidence based medicine relevant, die nachweisen, dass es durchaus schwere Krank-heitsbilder, eine schwere subjektive Betroffenheit gibt. 

Die andere patientenbezogene Meinung ordnet gesundheitliche Störungen Umwelteinflüssen zu, kann viele Erfahrungsberichte beibringen, viele „alternative“ Literatur, glaubt fest an kausale Zusammenhänge und begründet den persönlichen Leidens-druck subjektiv intensiv glaubhaft. [5] Auch der Forschungs-bericht von Bauer A., Schwarz E. et al.(2003) dokumen-tiert: Bei 85% der Patienten stimmte das Krank-heitsmodell des Patienten mit den vom Untersucher erhobenen Ursachen der Erkrankung überein.[1]

In der Umweltmedizin und der Gesellschaft wandelt sich das Arzt-Patienten Verständnis zum Compliance-Paradoxon. Dabei wird die subjektive Sicht der Patienten nicht wahrgenommen, obwohl sie oft genauestens symptom- und auslöserbegründet ist. Die scheinbar objektive Sicht des Arztes ist in zwei ideologisch fixierte Lager gespalten, sodass sich aus dem gestörten Arzt-Patienten-Verhältnis sogar ein gestörtes Arzt-Arzt-Verhältnis mit Fronten in der Schulmedizin ergibt. [5]

„Bei all den medizinischen Kontroversen darüber, ob MCS `echt´ ist oder nicht, wurden die Menschen, die darunter leiden, sich selbst überlassen. Menschen mit MCS fallen durch die Raster und werden zu einer `unsichtbaren´ behinderten Minderheit, deren Leben mit keiner unserer medizinischen, pädagogischen oder sozialen Einrichtungen mehr vereinbar ist.“  [6]

Quellen:
[1] Bauer A., Schwarz E. et al.(2003), APUG-Forschungsbericht  Aktenzeichen 122-1720/49 „Untersuchung über die Prädiktoren von Krankheitsentstehung und Langzeitverlauf bei ambulanten und stationären Patienten der Umweltmedizin am Fachkrankenhaus Nordfriesland (FKH-NF) – unter der besonderen Berücksichtigung von Patienten mit MCS 
[2] Bauer A., Schwarz E. „Zur Validität von Fragebögen der psychologisch-psychiatrischen Diagnostik bei Personen, die gegenüber neurotoxischen Schadstoffen exponiert sind oder waren“, umwelt-medizin-gesellschaft 19 (1): 43-60
[3] Bauer A., Schwarz E., et al. “ Patienten mit multiplen Chemikalienintoleranzen: Umweltmedizin oder Psychosomatik?“ ZFA (Stuttgart) 2007; 83(11): 442-446
DOI: 10.1055/s-2007-991153
[4] Bellman, V., Zolnikov, T. (2022) „Multiple Chemical Sensitivity: The Underrecognized Diagnosis but True Disease“ European Psychiatry, 65(S1), S239-S239. doi:10.1192/j.eurpsy.2022.617, Open Access gem. Lizenz CC BY 4.0
[5] Baur W. „Zur Rolle der Patienten-Arzt-Beziehung im Kontext von Umwelt, Medizin und Gesellschaft“, umwelt·medizin·gesellschaft | 22 | 4/2009
[6] Gibson P.R. „Multiple Chemikalien Sensitivität – Ein Überlebens-Leitfaden“, Kap. 3

Literaturhinweise

Einige Fachartikel und -Bücher (keine vollständige Übersicht) sowie Videos finden Sie hier auf unserer Seite „Sonstiges/Medien“